Das Ausmaß und die Intensität der Kämpfe in der Ukraine haben selbst die NATO überrascht. Es wirft die Frage auf, ob das Bündnis überhaupt in der Lage ist, einen Krieg mit großen Einheiten gegen Russland zu führen. Das gab kürzlich erstmals der General Christopher G. Cavoli, der NATO-Oberbefehlshaber in Europa (Supreme Allied Commander Europe, SACEUR), auf einer schwedischen Verteidigungskonferenz offen zu.

Ein Panzer der Donezker Volksrepublik bewegt sich auf die Frontlinie von Asowstal in Mariupol zu.Maximilian Clarke/SOPA Images/LightRocket via Getty Images

„Ausmaß dieses Krieges ist einfach unglaublich“

Seit Ende des Kalten Krieges ist die NATO zwar stark an Mitgliedern gewachsen, auf heute bereits 30 Staaten, gleichzeitig sind aber sämtliche Streitkräfte seither geschrumpft. Das Verteidigungsbündnis wurde nämlich ursprünglich im Jahr 1949 gegründet, um eine sowjetische Invasion in Westeuropa zu verhindern. Mit dem Untergang der Sowjetunion bestand diese Gefahr nicht mehr.

24. August 1949: Präsident Harry Truman unterzeichnet den Nordatlantikpakt zur Gründung der NATO in Anwesenheit mehrerer ausländischer Diplomaten.Corbis via Getty Images)
Berlin,1987, noch zur Zeit des Kalten Krieges: Panzerparade an der Siegessäule am Tag der AlliiertenLeber/ullstein bild via Getty Images)

„Das Ausmaß dieses Krieges ist unglaublich“, zitierte „Business Insider“ Christopher Cavoli. „Seit Beginn des Krieges haben die Russen im Durchschnitt weit mehr als 20.000 Artilleriegeschosse pro Tag verschossen.“ Auf solche Dimensionen ist die NATO schon lange nicht mehr eingestellt. „Das Ausmaß dieses Krieges steht in keinem Verhältnis zu all unseren bisherigen Überlegungen“, sagte Cavoli. „Aber er ist real und wir müssen uns damit auseinandersetzen.“

Arsenale der NATO sind nicht sehr umfangreich

Eine wichtige Lektion sei: Eine groß angelegte, hochintensive Kriegsführung wie nun in der Ukraine benötigt eine entsprechende Verteidigungsindustrie, die in der Lage ist, die nötige Ausrüstung und den Nachschub zu liefern. Sie ist nicht mehr in ausreichendem Ausmaß vorhanden. Die europäischen Länder haben sich in den vergangenen 30 Jahren zunehmend auf die USA verlassen, und selbst dort gerät die Rüstungsindustrie mittlerweile unter Druck. Alle am Krieg beteiligtenn Kräfte – die USA, Russland und Europa – bemühen sich zurzeit, die Produktion von Artilleriegranaten wieder hochzufahren, nachdem sie ihre Munitionsvorräte und -fabriken nach dem Kalten Krieg heruntergefahren haben.

„Produktionskapazitäten sind nach wie vor unerlässlich, absolut unerlässlich“, sagte Cavoli. „Eine gesunde und elastische industrielle Verteidigungsbasis ist genauso wichtig wie die Zahl der Truppen”.

Ein Soldat in der Ukraine: Munition und Truppengröße sind entscheidend.Getty
Der Krieg in der Ukraine ist verlustreich. Offizielle Zahlen der gefallenen Soldaten gibt es nicht.

Nun zeigen „die verzweifelten Versuche der NATO, Waffen und Munition für die Ukraine aufzutreiben, dass die Arsenale des Bündnisses nicht sehr umfangreich sind“, schreibt der „Business Insider“. „Die USA sind wahrscheinlich am besten auf einen langen Krieg vorbereitet, und selbst dann wird die amerikanische Rüstungsindustrie Jahre brauchen, um die Produktion von Artilleriegranaten hochzufahren.“

Soft Power kann militärische Stärke nicht ersetzen

Cavoli wandte sich auch gegen den bis vor kurzem von Deutschland und anderen Ländern vertretenen Glauben, dass Soft Power (Weiche Macht) aus Diplomatie und Kultur ein Ersatz für militärische Macht geworden sei. „Hard Power ist eine Realität”, sagte Cavoli. Zwar seien Diplomatie, Cyber-Kriegsführung und wirtschaftliche Stärke wichti, „aber das große irreduzible Merkmal der Kriegsführung ist harte Macht, und darin müssen wir gut sein“. Sprich: „Wenn der andere mit einem Panzer auftaucht, sollten Sie besser einen Panzer haben“, sagte Cavoli.

Angesichts einiger Überraschungserfolge der Ukraine auf dem Schlachtfeld könnte „Präzision die Masse schlagen“. Die Sache hat nur einen Haken: Qualität braucht Zeit, um Quantität zu besiegen, und „diese Zeit wird normalerweise mit Fläche erkauft. Um diese Methode anwenden zu können, brauchen wir Raum, den wir gegen Zeit eintauschen können. Den haben nicht alle von uns, und wir müssen das in unserem Denken, in unserer Planung kompensieren.“

Dies könnte ein Eingeständnis dafür sein, dass die NATO im Falle einer russischen Invasion in den baltischen Staaten die nötige Zeit fehlen würde, um ihnen zu Hilfe zu kommen. Russlands kleineren Nachbarstaaten fehlt es nämlich an strategischer Tiefe.

NATO auf Unterstützung der USA angewiesen

Nach dem Ende des Kalten Krieges beteiligte sich die NATO an mehreren militärischen Operationen. NATO-Flugzeuge führten 1999 in Serbien und 2011 in Libyen Bombenangriffe durch. Das Bündnis entsandte auch Truppen zu friedenserhaltenden Missionen nach Bosnien und in den Kosovo und kämpfte an der Seite der US-Streitkräfte in Afghanistan.

Dabei handelte es sich jedoch um kleine Operationen mit einer begrenzten Anzahl von Truppen, Flugzeugen und Munition. Schon damals wurde klar: Die NATO ist auf die Unterstützung der USA angewiesen. So gingen etwa den NATO-Luftstreitkräften in Libyen nach einem Monat die präzisionsgelenkten Bomben aus.

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Kommentare

  • von welchen Leuten werden wir regiert sagt:

    Scott Ritter: NATO ist ein Papiertiger, Briten haben max 2 Divisionen, Deutschland und Frankreich nichts, Polen 165000 Mann, wenig Waffen und die meisten junge Rekruten, allein die Amis können kämpfen. Haben aber nur 100.000 in Europa, inklusive Logistiker im Hintergrund, also nur 40.000 echte Frontkämpfer.
    Russen haben Gesamtarmee auf 1,5 Mio aufgestockt und Zusatzmobilisierung für Ukraine 300.000, enorme Überlegenheit der Artillerie der Russen 1: 6, 7 oder 10. Außerdem brummen die russischen Waffenfabriken und im Westen ist nichts los.
    Unsere Oberen haben im Ernst geglaubt, sie können mit dem swiftabsperren die Russen flachlegen. Wer alles hat, Rohstoffe, Energie, Land, Leute, plus für die Not Atomwaffen, der kann gar nicht verlieren. Man hat die eigene Propaganda geglaubt.

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  • Einzahler sagt:

    Das ist auch das Einzige, was diese Verbrecher können😉

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  • GF 99 sagt:

    Vor ein paar Monaten hat die NATO behauptet das Russland Militärisch am Ende ist. Die EU wollte uns einreden das Russland Wirtschaftlich am Ende ist. Die haben nur gelogen, sonst nichts.

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    1. said sagt:

      Belogen ja, doch wer selbstständig denkt weiss wie es in Wahrheit aussieht, und dies NICHT zu Gunsten der UKROS. Wer der verlogenen Kriegspropaganda alles glaubt ist wirklich selber schuld und verdient es auch angelogen zu werden. Das dümmste Glied in der ganzen Propagandaschlacht ist der viel genannte britische Geheimdienst der einen Schwachsinn um den nächsten raus haut. Bevor ich einem Artikel lese, benutze ich die Browser Wortsuchfunktion mit Schlüsselwörtern wie “Geheimdienst, britisch, Sicherheitskonferenz oder ISW”. Wenn was gefunden wird, lese ich den Artikel genau aus diesem Propagandawahnsinn nicht.

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  • B.Eagle sagt:

    Wenn es so weiter geht, wird, so er es will, Putin nicht in Europa einmarschieren, sonder einfach einreisen. Wer soll mit was, den Russen aufhalten?

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  • ammit sagt:

    Ein Ziel hat Russland schon erreicht, Europa ist entmilitarisiert, weil die EUstaaten ihre Verteidigungskraft Selenskyj in den ………..schieben und einen Krieg velängern der zum Geier nocheinmnal nicht unserer ist.

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    1. steiner sagt:

      “Europa ist entmilitarisiert” -Ausnahme Türkei

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      1. Neo sagt:

        Und Griechenland

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  • Tu Felix Austria nube sagt:

    Arroganz muss man sich leisten können. Die Siegesschwüre an die Ukraine, sie könnten mit immer währenden Waffenlieferungen rechnen, bis Russland besiegt sei, waren von Anfang an illusorisch. Da hätten die EU Beamten erst mal die eigenen Waffenlager inventarisieren müssen, bevor vdL und Bockbier das Maul aufreissen. Angeblich pfeife Russlands Rüstungsindustrie auf dem letzten Loch, Maulheldensprüche kriegsgeiler Politiker, die lieber einen Atomkrieg riskieren als ihre Fehleinschätzungen zuzugeben. Da keine Vernunft mehr existiert, wäre es wohl die einzige Chance auf Frieden, wenn Granaten und Munition ausgehen, dann muss verhandelt werden. Die baltischen Staaten sind nach der NATO Bankrotterklärung in höchster Gefahr, also je früher Frieden, desto weniger Sorgen im Baltikum. Oder ist das wieder eine Falle für Putin?

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  • Gefreiter i.G. sagt:

    NATO-Oberbefehlshaber in Europa,:
    „Auf einen Krieg dieses Ausmaßes ist das Verteidigungsbündnis [NATO] nicht vorbereitet.”
    „Es wirft die Frage auf, ob das Bündnis [NATO] überhaupt in der Lage ist, einen Krieg mit großen Einheiten gegen Russland zu führen.”

    Frage:
    Auf was ist nun die NATO vorbereitet? Auf einen Angriff von Außerirdischen?

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  • Berny sagt:

    Mr. Cavoli unterliegt offensichtlich einem Irrtum: er ist nicht Mitglied eines Verteidigungsbündnisses sondern eines Angriffsbündnisses.

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    1. Der brave Soldat sagt:

      Auch bei militärisch aggressiven Staaten wie den USA ist die Bezeichnung “Verteidigungsminister” an Verlogenheit nicht zu überbieten.

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  • Edmund Sackbauer sagt:

    Colonel MacGregor spricht von 150.000 bis 200.000 toten Ukrainern und ca 400.000 bis 500.000 Kriegsverletzten, teilweise wiederherstellbar. Man rekrutiert schon 16 jährige. youtube Interview.
    Nicht meine Phantasie, sondern das sagt ein ex US Präsidentenberater. Er sagt, das Pentagon weiß Bescheid, das Militär weiß, daß die Ukraine verloren hat. Siehe oben den Europakommandant.
    Man sieht: Das Militär weiß was los ist.
    Die Politik schlägt nur Schaum.
    Die Russen haben anscheinend unglaublich vorgesorgt, sie produzierten offenkundig Unmengen Munition auf Reserve und schießen und schießen, das Bodenständige ist immer noch das wirksamste. Und der Westen hat die Russen als rückständig verlacht.

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  • Lebensfreude sagt:

    Deutschland ist der größte amerikanische Flugzugträger mit 80 Millionen Einheimischen an Deck, so schauts aus. Als Untertan der USA steuert diese Deutschland (und Europa mit Hilfe der EU-USA Vasallen) zum dritten mal in den Abgrund! Hey, das sind wahrhaft tolle Freunde, oder? Nun, wer die Geschichte nicht liest und ehrt, der sich seiner eigenen Zukunft versperrt!

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